Mit tränenunterlaufenen Augen starre ich auf den Scherbenhaufen vor mir. Ich kann nicht glauben, dass mir das gerade passiert ist. Und doch ist es so… das einzige Überbleibsel meiner früheren Lieblingskneipe – ein Altbierglas mit einer großen Zwiebel drauf – ist dahin. Zerbrochen. Zerteilt. Für immer entzweit. Schnief!
Keine guten Freunde
Die Situation ist mir leider nicht komplett neu: Ich glaube, etwas fest im Griff zu haben, und eine Sekunde später liegt dieses Etwas auf dem Boden. In meinem Gläserschrank stehen einige halbzerbrochene Gläser, von denen ich mich nicht trennen kann (manche davon dienen als Zahnbürstenhalter oder Mini-Vase). Ich möchte es einmal so formulieren: Die Schwerkraft und ich, wir sind keine guten Freunde.
Tollpatsch?! Nö.
Alles geht zu Boden: glitschige Sachen, eigentlich recht grifffeste Sachen, ein Schluck aus meiner Kaffeetasse oder ich selbst bei dem Versuch, eine Strumpfhose im Stehen anzuziehen. Ich schätze mich selbst aber nicht als tollpatschig ein (meine Freunde hingegen schon). Normalerweise bin ich in mir drin ziemlich ruhig und geerdet. Das weiß die Schwerkraft nur scheinbar nicht.
Das macht sie extra!
Diese unsichtbare Kraft lässt mich oft genug gegen Türrahmen rennen oder an Tischkanten stoßen. Es ist fast so, als würde sie mir extra eins auswischen, während ich mir denke: Och guck mal, eine Wand! Da solltest du jetzt besser nicht gegenlaufen. Boing! Ein blauer Fleck mehr. Ach Mensch, eigentlich kann ich das alles gar nicht mit einer Hand tragen. Zack, kommt der Handfeger wieder zum Einsatz. Du fragst dich nun wahrscheinlich: Warum tut sie das überhaupt? Sie weiß doch, dass das schief geht. Jaaaaa, eigentlich weiß ich das. Aber nur eigentlich.
Gnadenlose Schwerkraft
Ich habe mein Leben schon so ausgerichtet, dass ich möglichst vielen Gefahren aus dem Weg gehe und mich nicht selbst überschätze. Wenn ich vernünftig genug bin, dann bringe ich meinen Teller, meine Tasse und das Nutella-Glas einzeln zum Tisch. Wenn ich aber in Eile bin, dann habe ich für so einen Quatsch keine Zeit. Und diese Chance nutzt die Schwerkraft gnadenlos. Bingo! Genau deshalb verlinken mich meine Freunde auch so gern bei irgendwelchen Tollpatsch-des-Jahres-Posts.
Auf zur Ursachenfindung
Aber warum ist das überhaupt so? Ich habe ja sicher keinen genetischen Defekt oder so. Bestimmt gibt es eine gute Erklärung für mein gespaltenes Verhältnis zur Schwerkraft. Also befrage ich doch mal Doktor Google, der weiß doch sonst immer alles. Ich schließe Krankheiten wie Rheuma, Parkinson oder Krebs einfach mal aus. So. Was gibt es sonst noch?
Diagnose 1: Stress
Stress ist immer eine gute Antwort auf alles. Laut Google stehe ich kurz vorm Burnout, kann mich nicht gut konzentrieren und bin deshalb fahrig. Joah, ist eine Möglichkeit. Oft bin ich tatsächlich mit meinen Gedanken schon eine Station weiter und achte nicht darauf, was ich tue. Vor allem, wenn es schnell gehen muss, sind die Augen nicht mehr bei dem Glas in meiner Hand sondern schon beim Wasser. Und schwupps landet das Glas mit einem dreifachen Salto über die Spüle auf dem Fliesenboden. Oder das Wasser.
Diagnose 2: Das Alter
Als Anfang-Dreißig-Jährige muss ich den Tatsachen langsam ins Auge sehen: Ich bin halt nicht mehr die Jüngste. Ob mein Greifvermögen schon nachlässt? Sehe ich nicht mehr richtig? Oder bin ich schlicht schusselig wie eine alte Frau? Je mehr ich darüber nachdenke, desto verzweifelter werde ich. ICH WILL NOCH NICHT STERBEN! 😉 Scherz beiseite, so alt, dass ich Gläser fallen lasse, fühle ich mich noch nicht. Und ich fürchte, ich habe die Schwerkraft schon seit Jahren zum Feind.
Diagnose 3: Körperliche Defizite
Es könnte natürlich auch sein, dass ich einfach schlechte Reflexe habe. Möglicherweise arbeitet mein Hirn nicht schnell genug oder sendet die Signale nicht rechtzeitig. Ich habe schon das Gefühl, dass ich mit vielem etwas länger brauche. Also motorisch. Mir fehlt das berühmte Fingerspitzengefühl. Deshalb drücke ich manche Dinge auch einfach platt oder ziehe zu fest.
Wie dem auch sei, man kann sich ja über vieles Gedanken machen. Ich für meinen Teil ziehe es vor, die Schuld auf die Schwerkraft zu schieben. Diese gemeine Kuh. Die Erdanziehung ist ausgerechnet auf dem Quadratmeter, auf dem ich mich bewege, am höchsten. Wie eine fiese schwarze Wolke, die in Trickfilmen über den Trauerklößen schwebt, zieht der Magnet immer genau unter meinen Füßen seine Kreise. Ich kann nichts dafür!
Also lebe ich damit und verschwende nicht zu viel Energie darauf, zu ändern, was nicht zu ändern ist. Hakuna Matata!